Wunderschönes Waldidyll – beste Spreelage. Die Archenhold-Sternwarte, das Treptower Rathaus und das Eierhaus im Plänterwald sind nur einen Steinwurf entfernt. Hier an der Grenze zwischen Treptower Park und Plänterwald liegt der ehemalige Vorzeige-Vergnügungspark der DDR: der „Spreepark”. Nach der Schließung eroberte sich die Natur Jahr für Jahr das Gelände zurück, wodurch buchstäblich ein Vergnügungspark für die Urban-Exploration-Community entstand.
Der Spreepark gilt als einer der bekanntesten Lost Places Deutschlands - er ist so populär, dass vor Ort sogar geführte Touren angeboten werden. Doch wer würde sich einen verlassenen Vergnügungspark anschauen und dafür Eintritt zahlen? Die Antwort: Viele! Denn Lost Places sind ein kulturelles Phänomen, für das sich immer mehr Menschen interessieren. Neben touristisch genutzten Lost Places wie dem Spreepark, den Heilstätten in Beelitz sowie dem Bremer Kellogg’s-Gelände gibt es weniger bekannte verlassene Orte, die sich überall verstreut finden lassen. Besonders diese unbekannteren Lost Places haben es der ständig wachsenden Community der Urban Explorer (UrbEx) angetan.
Verlassen, verloren, vergessen: Diese Orte holt sich die Natur zurück
Ob in Berlin, Rheinland-Pfalz, Bayern oder in unseren Nachbarländern - verlassene Orte, die sich die Natur zurückerobert, finden sich überall. Mit unserer interaktiven Karte könnt ihr die fesselndsten Lost Places in Deutschland und den direkten Nachbarländern (nach Kategorien gefiltert) entdecken und euch weitere Informationen zu ihnen anzeigen lassen: Hovert einfach über den jeweiligen Ort. Erfahrt außerdem, ob für den spezifischen Lost Place geführte Touren angeboten werden. Leichter könnte die Planung einer urbanen Erkundungstour auf einer Städtereise nicht sein!
Interaktive Map – Über 100 Lost Places in Deutschland & den Nachbarländern
Dos & Don’ts - was muss ich bei einem Lost-Place-Besuch beachten?
Vandalismus gehört zu einem weit verbreiteten Problem bei der Urban Exploration. Obwohl die meisten Besucher respektvoll mit den Orten umgehen – ganz nach dem Motto: Lost Places so verlassen, wie sie vorgefunden wurden –, locken ins Netz gestellte Fotografien und Videoaufnahmen immer mehr Schaulustige an die Plätze, die bei ihrem Besuch den Lost Place beschädigen oder „Andenken“ mitnehmen. Nicht alle Besucher begegnen der urbanen Kultur mit Respekt.
Doch nicht nur für die Orte selbst, auch für ihre (größtenteils unerfahrenen) Entdecker bergen die Besuche Gefahren: Einsturzgefährdete Ruinen, Katakomben und Wände können zu unglücklichen Zwischenfällen führen.
Checklist für eine Begehung von Lost Places
Was reizt Fotografen, Urban Explorer und Hobby-Abenteurer an Lost Places?
Ein wichtiger Grund, warum Lost Places viele Menschen faszinieren, ist der Aspekt des Individualismus, der dem Urban Exploring innewohnt. UrbExer erkunden Lost Places häufig in Kleingruppen - touristische Massenansammlungen bleiben dabei meist aus. Damit kommt ein heutzutage seltenes und deswegen begehrtes Gefühl von Authentizität und Exklusivität auf. „Klassische” Sehenswürdigkeiten sind für jedermann zugänglich, ein Lost Place nicht. Der Besuch eines verlassenen Ortes gleicht eher einer Expedition ins Unbekannte. Lost Places umweht der Hauch des Geheimnisvollen und des Versteckten, ja des Märchenhaften.
Die Motive hinter der Faszination Lost Places sind verschieden, wenngleich stets eine persönliche Entdeckungsreise im Mittelpunkt steht. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Für die einen ist es historisches Interesse, für andere sind Lost Places Sehnsuchtsorte, durch die sie dem Alltag entfliehen, und für wieder andere ist die Entdeckung von Lost Places eine Art individuelle Grenzüberschreitung (Reiz des Verbotenen) - sowohl im buchstäblichen als auch im emotionalen Sinn. Ob kurzlebiger Nervenkitzel oder persönliche Sinnsuche: Lost Places üben mit ihrer Ästhetik des Verfalls eine ungemeine Anziehungskraft auf viele Menschen unterschiedlichen Backgrounds aus. Auf die Frage, warum die Faszination so stark ist, gibt es keine allgemeingültige Antwort. Zu viele Faktoren spielen dabei eine Rolle.
Ästhetik des Verfalls: Lost Places und ihre mediale Darstellung
Die Entdeckung von Lost Places (Urban Exploring oder UrbEx) ist eng mit der Fotografie verbunden. Lost-Places-Fotografie ist mehr als Ruinen-Fotografie, da in ihr die Besonderheit der einzelnen verlassenen Struktur eingefangen wird und durch das Zusammenspiel von Architektur und Natur ein emotionales Motiv entsteht. Der Kontrast zwischen Hell und Dunkel ist essentiell für das Stimmungsbild auf den Lost-Places-Fotografien.
Die sogenannte Ästhetik des Verfalls hat sich erst in jüngerer Zeit als fotografischer Ausdruck in der Kunstgeschichte etabliert, emotional aufgeladen durch dramatische Bildgestaltung, dem Spiel mit besonderen Lichtverhältnissen und extremen Perspektiven. Auch Medien berichten vermehrt über den Trend des Individualtourismus und beliebte Angebote abseits der gängigen Ausflugsrouten: Ob Führungen durch die Berliner Unterwelten, die Begehung der US-Abhörstation auf dem Teufelsberg oder eine begleitete Foto-Tour durch ausgewählte Gebäude der Beelitzer-Heilstätten, nie war die Entdeckung einer verlassenen Villa, eines alten Tunnels oder eines verfallenen Krankenhauses massentauglicher und organisierter als in der heutigen Zeit.
Lost Places: Kann Geschichte zu neuem Leben erwachen?
Wie schon bei den Gründen, weswegen Lost Places in den letzten Jahren so relevant geworden sind, gibt es auch hinsichtlich der zukünftigen Nutzung verschiedene Optionen - je nachdem, ob staatliche oder private Investoren willens sind, Geld in (Teil-)Sanierung zu stecken. Je länger ein Lost Place leer steht, desto teurer und unwahrscheinlicher wird eine Renovierung. Entscheidend, ob es zu einer Sanierung kommt, ist häufig der gesellschaftliche und kulturelle Wert, der dem jeweiligen Lost Place zugeschrieben wird.
Urban Exploration und Denkmalschutz - wie passen die Interessen zusammen?
Ein Begriffspaar, bei dem sich die Geister scheiden. Spreepark-Experte Christopher Flade denkt, dass Urban Exploration und Denkmalschutz in Abhängigkeit zueinander stehen: „Einerseits wird durch die Erhaltung und ordentliche Wartung von Lost Places ein spannendes und sicheres Urban Exploring möglich. Andererseits lässt sich durch Denkmalschutz altes Kulturerbe schützen.” Dies würde nicht jeder so positiv sehen, denn einige Mitglieder der UrbEx-Community bewerten jeden äußeren Eingriff in die Lost Places als Affront und Kommerzialisierung. Allerdings garantieren gerade diese Eingriffe (Denkmalschutz und Sanierungen) das langfristige „Überleben” von verlassenen Gebäuden. Ohne diese würden Lost Places unwiederbringlich verfallen und keine Erinnerungsquelle, sondern eine Gefahr für ihre Besucher darstellen.
Das Dilemma: Ein Lost Place ist nach seiner Sanierung streng genommen kein Lost Place mehr, sondern weist maximal „nur noch” eine Lost-Place-Ästhetik auf. Die verlassenen Orte bekommen damit einen neuen kulturellen Sinn und Nutzen, werden aber für die Urban Explorer selbst buchstäblich zu verlorenen Orten.
Lost Places sind nicht für immer „lost” - wie kann ein „Leben danach” aussehen?
Durch Investitionen, Engagement, kulturelle Relevanz und Denkmalschutz ist es möglich, einem Lost Place neues Leben einzuhauchen. Allerdings ist es unwahrscheinlich, es dabei allen Parteien recht zu machen. Dies wird am Beispiel Spreepark deutlich. Urban Explorer werfen den Inhabern des Spreeparks vor, den Ort zu kommerzialisieren. Die Betreibung eines Cafés, die Installation von Toiletten und die geführten Touren würden dem Spreepark seinen Lost-Place-Status rauben. Christopher Flade kann durchaus verstehen, dass Lost-Place-Touristen von dem Spreepark enttäuscht sind (weil z. B. alte Artefakte fehlen), und gibt ihnen Recht: „Bei dem Spreepark handelt es sich um keinen Lost Place im ursprünglichen Sinn mehr.” Das sei aber auch gar nicht entscheidend. Wichtiger ist Flade, dass die Erinnerung an das Alte mit neuen Ideen und Konzepten erlebbar gemacht wird: „Was haben die Leute davon, über den Spreepark zu hören: „Hier hatten die Menschen früher Spaß.“ Es ist doch viel besser, wenn sie heute im Spreepark Spaß haben.”
Der Spreepark und sein „Leben danach”: In wenigen Jahren soll der ehemalige Vergnügungspark Spreepark als Kunst- und Kulturpark neu eröffnet und damit Besuchern als Erlebnisstätte, in die Neu und Alt integriert ist, zugänglich gemacht werden.
Fandrick Adventures: https://fandrik-adventures.com/lost-places-10-verhaltensregeln-und-gefahrenquellen/
Urbexpo: http://www.urbexpo.eu/de/urbEXPO/Idee--Vision/Aesthetik-des-Verfalls
Berliner Unterwelten: https://www.berliner-unterwelten.de/
Teufelsberg Berlin: https://www.teufelsberg-berlin.de/
Baum & Zeit: https://baumundzeit.de/saved-place-foto-tour
SEMrush, Januar 2022
Instagram, April 2022
Nordbayern: https://www.nordbayern.de/region/lost-places-das-steckt-hinter-dem-instagram-trend-1.7945060
Lost Places World: https://lost-places-world.com/zukunft/
Dr. Elke Wehrs Lehrbeauftragte an der Goethe-Universität und an der Universität des 3. Lebensalters in Frankfurt am Main. Forschung und Lehre im Bereich Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie, Erziehungswissenschaft, Literaturwissenschaft und Psychologie. Promotion „Verstehen an der Grenze. Erinnerungsverlust und Selbsterhaltung von Menschen mit dementiellen Veränderungen“. Forschungen in der Erwachsenenbildung und im Bereich der ästhetischen Bildungserfahrung mit Kindern im Vor- und Grundschulalter. Forschungsprojekt „Projektlabor ÜberLebensKunst“ im Bereich der kulturwissenschaftlichen Stadtforschung, unter anderem das Teilprojekt „Lost Places“.
Dr. Sacha Szabo, Unterhaltungswissenschaftler am Institut für Theoriekultur in Freiburg. Promoviert mit einer Arbeit über Vergnügungsattraktionen, untersucht Alltagskulturen und publiziert dazu Monografien.
Lost Places erobern die Mitte der Gesellschaft - und die sozialen Medien
Die Faszination an verlassenen Gebäude, wie wir sie heute kennen, geht auf die US-amerikanische „Counterculture” (unter dem Stichwort „abandoned buildings”) der 70er-Jahre zurück. Es waren vor allem alte Bunkeranlagen, Hochhäuser und Brücken, die viele Besucher magisch anzogen. Die Erkundung dieser von der Mehrheit der Gesellschaft unbeachteten Überbleibsel des wirtschaftlichen Scheiterns hielt einen ganz besonderen Nervenkitzel bereit: Die Entdeckung einer architektonischen und gesellschaftlichen Parallelwelt blieb nur wenigen waghalsigen Abenteurern vorbehalten. Aber das Interesse an Ruinen und alten architektonischen Strukturen war ebenfalls ein wiederkehrendes Motiv in der europäischen Romantik des 19. Jahrhunderts. Die Romantisierung dieser Ruinen wurde in der Literatur und bildenden Kunst festgehalten und über Jahrhunderte zu einem gesamtgesellschaftlichen Erfahrungsschatz.
Auch schon mal nach „lost places” gegoogelt?
In Deutschland steigt seit mehreren Jahren das Interesse an verlassenen Orten. Betrachten wir die Historie von Google-Suchanfragen in Deutschland zu „lost places” und „urbex”, wird deutlich: Das Thema erregt immer mehr Aufmerksamkeit und positioniert sich in der Mitte der Gesellschaft.
#urbex, #lostplaces, #urbexplaces: auf Social Media trenden Hashtags rundum Lost Places
Egal, ob Twitter, Facebook oder Instagram - User posten, sharen und liken Beiträge mit Lost-Places-Content in Millionenhöhe. Unter dem reichweitenstärksten Hashtag der Bewegung #urbex veröffentlichten Nutzer bis heute bereits 10,6 Mio. Posts auf Instagram. Nur logisch, denn, wie bereits erwähnt, hat die Lost-Places-Faszination eine starke optische und ästhetische Komponente, die ausgezeichnet zu einer visuellen Social-Media-Plattform wie Instagram passt. Die folgende Liste der populärsten und meistgenutzten Hashtags (über 100.000 Erwähnungen) lässt die breite Masse visuell in die Untergrundwelt verlassener Orte abtauchen.
Zwei popkulturelle Trends - was haben Lost Places und True Crime gemeinsam?
Sowohl Lost Places als auch True Crime sind seit mehreren Jahren Trendthemen - die Google-Suchanfragen sprechen eine eindeutige Sprache. Wie bereits erwähnt, haben sich die monatlichen Suchanfragen von „lost places” zwischen 2017 und 2022 um 400 % gesteigert. Die monatlichen Anfragen für „true crime podcast” stiegen von 260 im Jahr 2019 auf 9.900 im Jahr 2022 - das ergibt ein Wachstum von über 3.700 %. Dieses lässt sich sicherlich einerseits durch den Siegeszug des Mediums Podcast erklären, aber auch andererseits durch das vermehrte Interesse an True Crime.
Weitere Belege dafür lassen sich bei folgenden True-Crime-Suchbegriffen finden:
Aber: Nur weil beide Konzepte in den letzten Jahren beliebter geworden sind, heißt das doch nicht, dass sie etwas miteinander gemeinsam haben, oder?
True-Crime-Formate sind auf verschiedenen Ebenen erlebbar. Podcasts, Dokumentationen und Serien laden ihre Zuschauer und Zuhörer dazu ein, gespannt der Handlung zu folgen. Dabei sind sie so gestaltet, dass sich das Publikum aktiv selbst Gedanken zu den möglichen Entwicklungen der Geschichte macht. Bei Formaten wie True-Crime-Dinner, Exit-Games sowie weiteren Spielen, die auf Thrillern bzw. wahren Begebenheiten beruhen, ist das Publikum sogar direkt dazu eingeladen, die vorgegebenen Mysterien zu enträtseln. Somit lässt sich bei genauer Betrachtung eine Nähe zu Lost Places erkennen, die eine für uns nicht direkt zugängliche Geschichte erzählen und diese für ihre Begeher gleichzeitig aktiv erlebbar machen. Beide Thematiken umgibt der Hauch des Geheimnisvollen, den es zu entschlüsseln gilt. Das Geheimnisvolle stellt einen Gegensatz zum Alltag dar, wodurch es zu einer „Sensation” (einer Sinneserfahrung) wird, die uns reizt.