Faszination Lost Places: 100 Orte interaktiv entdecken | TUI

„Not all those who wander are lost” – was macht Lost Places so faszinierend?

Wunderschönes Waldidyll – beste Spreelage. Die Archenhold-Sternwarte, das Treptower Rathaus und das Eierhaus im Plänterwald sind nur einen Steinwurf entfernt. Hier an der Grenze zwischen Treptower Park und Plänterwald liegt der ehemalige Vorzeige-Vergnügungspark der DDR: der „Spreepark”. Nach der Schließung eroberte sich die Natur Jahr für Jahr das Gelände zurück, wodurch buchstäblich ein Vergnügungspark für die Urban-Exploration-Community entstand.

Der Spreepark gilt als einer der bekanntesten Lost Places Deutschlands - er ist so populär, dass vor Ort sogar geführte Touren angeboten werden. Doch wer würde sich einen verlassenen Vergnügungspark anschauen und dafür Eintritt zahlen? Die Antwort: Viele! Denn Lost Places sind ein kulturelles Phänomen, für das sich immer mehr Menschen interessieren. Neben touristisch genutzten Lost Places wie dem Spreepark, den Heilstätten in Beelitz sowie dem Bremer Kellogg’s-Gelände gibt es weniger bekannte verlassene Orte, die sich überall verstreut finden lassen. Besonders diese unbekannteren Lost Places haben es der ständig wachsenden Community der Urban Explorer (UrbEx) angetan.

Verlassen, verloren, vergessen: Diese Orte holt sich die Natur zurück

Ob in Berlin, Rheinland-Pfalz, Bayern oder in unseren Nachbarländern - verlassene Orte, die sich die Natur zurückerobert, finden sich überall. Mit unserer interaktiven Karte könnt ihr die fesselndsten Lost Places in Deutschland und den direkten Nachbarländern (nach Kategorien gefiltert) entdecken und euch weitere Informationen zu ihnen anzeigen lassen: Hovert einfach über den jeweiligen Ort. Erfahrt außerdem, ob für den spezifischen Lost Place geführte Touren angeboten werden. Leichter könnte die Planung einer urbanen Erkundungstour auf einer Städtereise nicht sein!

Interaktive Map – Über 100 Lost Places in Deutschland & den Nachbarländern

Location
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Kategorie
  • Bahnhöfe & Flughäfen
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Geführte Touren
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Dos & Don’ts - was muss ich bei einem Lost-Place-Besuch beachten?

Vandalismus gehört zu einem weit verbreiteten Problem bei der Urban Exploration. Obwohl die meisten Besucher respektvoll mit den Orten umgehen – ganz nach dem Motto: Lost Places so verlassen, wie sie vorgefunden wurden –, locken ins Netz gestellte Fotografien und Videoaufnahmen immer mehr Schaulustige an die Plätze, die bei ihrem Besuch den Lost Place beschädigen oder „Andenken“ mitnehmen. Nicht alle Besucher begegnen der urbanen Kultur mit Respekt.

Doch nicht nur für die Orte selbst, auch für ihre (größtenteils unerfahrenen) Entdecker bergen die Besuche Gefahren: Einsturzgefährdete Ruinen, Katakomben und Wände können zu unglücklichen Zwischenfällen führen.

Checklist für eine Begehung von Lost Places

Lost Places in einer Gruppe erkunden und nicht allein auf Tour gehen.
Eine Anti-Schimmel-Maske sorgt für zusätzlichen Schutz der Atemwege, sollten sich Sporen in der Luft befinden.
Zur Sicherheit mindestens eine Kontaktperson darüber in Kenntnis setzen, wo man sich befindet.
Die Orte so verlassen, wie sie vorgefunden Fotos und Videomaterial sind die einzigen Souvenirs, die mitgenommen werden sollten.
Gut ausgestattet: Festes Schuhwerk und sicheres Equipment wie schnittfeste Handschuhe, eine Taschenlampe und ein tragbarer Erste-Hilfe-Kasten erleichtern die Erkundungstour auf einem unbekannten Gelände.
Informationen einholen: Ist der Ort momentan in privatem Besitz? Wer sich dennoch Zutritt verschafft, begeht mindestens Hausfriedensbruch. Ein gewaltsamer Einstieg gilt sogar als Einbruch!
Fotos und Standort öffentlich machen? Der Grat zwischen Wertschätzung und Hype ist schmal: Zwar ist das Teilen von Fotografien der besuchten Orte im Netz weit verbreitet, jedoch können unbekannte „fragile“ Lost Places so einen unerwarteten Andrang erfahren und mit der Zeit zu Schaden kommen.
Geht es in den Untergrund? Wer unterirdische Bauwerke, Kanalisationen und Tunnelsysteme erkundet, ist mit einem Gerät zur Messung der O2-Konzentration gut beraten.

Was reizt Fotografen, Urban Explorer und Hobby-Abenteurer an Lost Places?

Ein wichtiger Grund, warum Lost Places viele Menschen faszinieren, ist der Aspekt des Individualismus, der dem Urban Exploring innewohnt. UrbExer erkunden Lost Places häufig in Kleingruppen - touristische Massenansammlungen bleiben dabei meist aus. Damit kommt ein heutzutage seltenes und deswegen begehrtes Gefühl von Authentizität und Exklusivität auf. „Klassische” Sehenswürdigkeiten sind für jedermann zugänglich, ein Lost Place nicht. Der Besuch eines verlassenen Ortes gleicht eher einer Expedition ins Unbekannte. Lost Places umweht der Hauch des Geheimnisvollen und des Versteckten, ja des Märchenhaften.

Wichtig: Bitte die Lost Places nicht eigenständig ohne professionelle Führung betreten, da sonst die Gefahr besteht, Hausfriedensbruch zu begehen und/oder sich zu verletzen.
Experten-Meinung zu dem besonderen Reiz von Lost Places:

Die Orte wirken mythisch und folgen einer Tradierungslinie, indem sie an klassische Darstellungsmuster in Märchen und Geschichten anknüpfen. Sie sind versteckt, vergänglich und verlassen - und damit geheimnisvoll. Der Held muss aufbrechen, sich dem Kampf stellen, um dann siegreich nach Hause zurückzukehren. Es gibt immer weniger von ihnen, weil sie abgesperrt, abgerissen oder neu genutzt werden. Dadurch drängt die Zeit, um sie noch einmal zu sehen oder vor dem Untergang zu bewahren.

Dr. Elke Wehrs
Kultur- und Erziehungswissenschaftlerin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main

Die Motive hinter der Faszination Lost Places sind verschieden, wenngleich stets eine persönliche Entdeckungsreise im Mittelpunkt steht. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Für die einen ist es historisches Interesse, für andere sind Lost Places Sehnsuchtsorte, durch die sie dem Alltag entfliehen, und für wieder andere ist die Entdeckung von Lost Places eine Art individuelle Grenzüberschreitung (Reiz des Verbotenen) - sowohl im buchstäblichen als auch im emotionalen Sinn. Ob kurzlebiger Nervenkitzel oder persönliche Sinnsuche: Lost Places üben mit ihrer Ästhetik des Verfalls eine ungemeine Anziehungskraft auf viele Menschen unterschiedlichen Backgrounds aus. Auf die Frage, warum die Faszination so stark ist, gibt es keine allgemeingültige Antwort. Zu viele Faktoren spielen dabei eine Rolle.

Teufelsberg, Berlin
Teufelsberg, Berlin
Experten-Meinung zu dem besonderen Reiz von Lost Places:

Sie repräsentieren verlorene Träume, untergegangene Mächte, verlorene Reiche, Schicksalsorte. Sie vermitteln Atmosphären, die an unser Wahrnehmungswissen anknüpfen. Es gibt Gesellschaftsvorstellungen von Utopie und Dystopie. Letzteres vermittelt das Scheitern (durch den aktuellen Leerstand). Utopie knüpft an unsere Liebe zur Vergangenheit an. Die Begeisterung gilt einer Nostalgie, die es vielleicht so nicht gegeben hat.

Dr. Elke Wehrs
Kultur- und Erziehungswissenschaftlerin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main

Ästhetik des Verfalls: Lost Places und ihre mediale Darstellung

Die Entdeckung von Lost Places (Urban Exploring oder UrbEx) ist eng mit der Fotografie verbunden. Lost-Places-Fotografie ist mehr als Ruinen-Fotografie, da in ihr die Besonderheit der einzelnen verlassenen Struktur eingefangen wird und durch das Zusammenspiel von Architektur und Natur ein emotionales Motiv entsteht. Der Kontrast zwischen Hell und Dunkel ist essentiell für das Stimmungsbild auf den Lost-Places-Fotografien.

Die sogenannte Ästhetik des Verfalls hat sich erst in jüngerer Zeit als fotografischer Ausdruck in der Kunstgeschichte etabliert, emotional aufgeladen durch dramatische Bildgestaltung, dem Spiel mit besonderen Lichtverhältnissen und extremen Perspektiven. Auch Medien berichten vermehrt über den Trend des Individualtourismus und beliebte Angebote abseits der gängigen Ausflugsrouten: Ob Führungen durch die Berliner Unterwelten, die Begehung der US-Abhörstation auf dem Teufelsberg oder eine begleitete Foto-Tour durch ausgewählte Gebäude der Beelitzer-Heilstätten, nie war die Entdeckung einer verlassenen Villa, eines alten Tunnels oder eines verfallenen Krankenhauses massentauglicher und organisierter als in der heutigen Zeit

Experten-Meinung zu dem besonderen Reiz von Lost Places:

Gerne werden Lost Places zu Vanitas-Symbolen stilisiert, die an die Vergänglichkeit anmahnen. Ebenfalls wird ihnen oft eine Poetik des Verfalls zugeschrieben, deren Morbidität diesen Ort verzaubert. Die Faszination für Ruinen ist keineswegs ein modernes Phänomen, sondern fand in der europäischen Romantik des 19. Jahrhunderts ihren frühen Höhepunkt. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch das „Romantische“, das diesen Orten zugeschrieben wird. Die Ruinen waren und sind jedoch nicht allein pittoresker Dekor, die damals wie heute für stimmungsvolle Bilder sorgen sollen, damals eben in Öl und heute im WWW. Der besondere Charme von Ruinen ist, dass die Kulturleistung nicht vollends verschwindet und die Natur, die sich diesen Ort wieder aneignet, nicht jede menschliche Spur tilgt. Vielmehr amalgamieren an diesen Orten Natur und Kultur zu einer neuen Einheit.

Dr. Sacha Szabo, Soziologe
Unterhaltungswissenschaftler am Institut für Theoriekultur in Freiburg

Lost Places erobern die Mitte der Gesellschaft - und die sozialen Medien

Die Faszination an verlassenen Gebäude, wie wir sie heute kennen, geht auf die US-amerikanische „Counterculture” (unter dem Stichwort „abandoned buildings”) der 70er-Jahre zurück. Es waren vor allem alte Bunkeranlagen, Hochhäuser und Brücken, die viele Besucher magisch anzogen. Die Erkundung dieser von der Mehrheit der Gesellschaft unbeachteten Überbleibsel des wirtschaftlichen Scheiterns hielt einen ganz besonderen Nervenkitzel bereit: Die Entdeckung einer architektonischen und gesellschaftlichen Parallelwelt blieb nur wenigen waghalsigen Abenteurern vorbehalten. Aber das Interesse an Ruinen und alten architektonischen Strukturen war ebenfalls ein wiederkehrendes Motiv in der europäischen Romantik des 19. Jahrhunderts. Die Romantisierung dieser Ruinen wurde in der Literatur und bildenden Kunst festgehalten und über Jahrhunderte zu einem gesamtgesellschaftlichen Erfahrungsschatz.

Auch schon mal nach „lost places” gegoogelt?

In Deutschland steigt seit mehreren Jahren das Interesse an verlassenen Orten. Betrachten wir die Historie von Google-Suchanfragen in Deutschland zu „lost places” und „urbex”, wird deutlich: Das Thema erregt immer mehr Aufmerksamkeit und positioniert sich in der Mitte der Gesellschaft.

Auch schon mal nach „lost places” gegoogelt?
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Institut für Anatomie, Berlin
Institut für Anatomie, Berlin

#urbex, #lostplaces, #urbexplaces: auf Social Media trenden Hashtags rundum Lost Places

Egal, ob Twitter, Facebook oder Instagram - User posten, sharen und liken Beiträge mit Lost-Places-Content in Millionenhöhe. Unter dem reichweitenstärksten Hashtag der Bewegung #urbex veröffentlichten Nutzer bis heute bereits 10,6 Mio. Posts auf Instagram. Nur logisch, denn, wie bereits erwähnt, hat die Lost-Places-Faszination eine starke optische und ästhetische Komponente, die ausgezeichnet zu einer visuellen Social-Media-Plattform wie Instagram passt. Die folgende Liste der populärsten und meistgenutzten Hashtags (über 100.000 Erwähnungen) lässt die breite Masse visuell in die Untergrundwelt verlassener Orte abtauchen.

Die 10 beliebtesten Hashtags rundum das Thema „Lost Places” weltweit*
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Experten-Meinung zu der Popularität von Lost-Places-Fotografien im Netz:

Lost Places sind gelebte Authentizität. Man kann darüber kommunizieren, etwas nacherleben, Interesse am Verfall signalisieren und medial darstellen. Es werden für Fotografien auch künstliche Spuren gelegt. Das bedeutet, dass Mechanismen genutzt werden, die verfälschend sind, aber einen hohen medialen Effekt erzielen. [...] Ästhetisch reizvolle Bilder zu zeigen, ist geteilte Kommunikation einer ganzen Subkultur. Hinter den Bildern stehen Hintergründe und Geschichten, die von „Urbexern“ im Blog oder in den sozialen Medien hochgeladen werden. Diese sind für eine neue Wissenskultur von großer Bedeutung.

Dr. Elke Wehrs
Kultur- und Erziehungswissenschaftlerin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main

Zwei popkulturelle Trends - was haben Lost Places und True Crime gemeinsam?

Sowohl Lost Places als auch True Crime sind seit mehreren Jahren Trendthemen - die Google-Suchanfragen sprechen eine eindeutige Sprache. Wie bereits erwähnt, haben sich die monatlichen Suchanfragen von „lost places” zwischen 2017 und 2022 um 400 % gesteigert. Die monatlichen Anfragen für „true crime podcast” stiegen von 260 im Jahr 2019 auf 9.900 im Jahr 2022 - das ergibt ein Wachstum von über 3.700 %. Dieses lässt sich sicherlich einerseits durch den Siegeszug des Mediums Podcast erklären, aber auch andererseits durch das vermehrte Interesse an True Crime.

Weitere Belege dafür lassen sich bei folgenden True-Crime-Suchbegriffen finden:

Zwei popkulturelle Trends - was haben Lost Places und True Crime gemeinsam?

Aber: Nur weil beide Konzepte in den letzten Jahren beliebter geworden sind, heißt das doch nicht, dass sie etwas miteinander gemeinsam haben, oder?

True-Crime-Formate sind auf verschiedenen Ebenen erlebbar. Podcasts, Dokumentationen und Serien laden ihre Zuschauer und Zuhörer dazu ein, gespannt der Handlung zu folgen. Dabei sind sie so gestaltet, dass sich das Publikum aktiv selbst Gedanken zu den möglichen Entwicklungen der Geschichte macht. Bei Formaten wie True-Crime-Dinner, Exit-Games sowie weiteren Spielen, die auf Thrillern bzw. wahren Begebenheiten beruhen, ist das Publikum sogar direkt dazu eingeladen, die vorgegebenen Mysterien zu enträtseln. Somit lässt sich bei genauer Betrachtung eine Nähe zu Lost Places erkennen, die eine für uns nicht direkt zugängliche Geschichte erzählen und diese für ihre Begeher gleichzeitig aktiv erlebbar machen. Beide Thematiken umgibt der Hauch des Geheimnisvollen, den es zu entschlüsseln gilt. Das Geheimnisvolle stellt einen Gegensatz zum Alltag dar, wodurch es zu einer „Sensation” (einer Sinneserfahrung) wird, die uns reizt.

Experten-Meinung zu Gemeinsamkeiten von Lost Places und True Crime:

Gemeinsam ist diesen Orten und Formaten das Sensationelle. Sensation bedeutet, dass Wirklichkeit sinnlich, mit allen Sinnen erlebbar ist, wodurch diese konkret und im Falle der Lost Places haptisch begreifbar wird. Somit wird der Körper der Betrachtenden selbst zur Erlebnisinstanz, die garantiert, – auch wenn dies gekünstelt klingt – dass die Wirklichkeit wirklich wirklich ist.

Dr. Sacha Szabo, Soziologe
Unterhaltungswissenschaftler am Institut für Theoriekultur in Freiburg
Grand Hotel Waldlust, Freudenstadt
Grand Hotel Waldlust, Freudenstadt

Lost Places: Kann Geschichte zu neuem Leben erwachen?

Wie schon bei den Gründen, weswegen Lost Places in den letzten Jahren so relevant geworden sind, gibt es auch hinsichtlich der zukünftigen Nutzung verschiedene Optionen - je nachdem, ob staatliche oder private Investoren willens sind, Geld in (Teil-)Sanierung zu stecken. Je länger ein Lost Place leer steht, desto teurer und unwahrscheinlicher wird eine Renovierung. Entscheidend, ob es zu einer Sanierung kommt, ist häufig der gesellschaftliche und kulturelle Wert, der dem jeweiligen Lost Place zugeschrieben wird.

Experten-Meinung zu dem gesellschaftlichen Wert von verlassenen Orten:

Für die Gesellschaft übersteigen Lost Places den Wert der angenehmen Erinnerungen und dem persönlichen Entdeckergeist. Uns Menschen ist es unglaublich wichtig, unsere Vergangenheit mit der nächsten Generation zu teilen. Hierbei spielen Lost Places eine wichtige Rolle. Ihr Erhalt ermöglicht es Menschen, ein Stück ihrer Vergangenheit und Erlebnisse weiterzugeben. Lost Places steuern also in vielerlei Hinsicht einen Wert zur Gesellschaft bei.

Christopher Flade
Autor mehrerer Bücher über den Spreepark Berlin und langjähriger Spreepark-Tourguide
Experten-Meinung zu dem gesellschaftlichen Wert von verlassenen Orten:

Das materielle Erbe und immaterielle Erbe sind stark miteinander verknüpft. Weil alte Gebäude über ihre reine Stofflichkeit hinaus sinnstiftende symbolische Bedeutung haben, sind damit kulturelle und soziale Praktiken verknüpft. Ein implizites Wissen, das identitätsstiftenden Charakter hat. Lost Places sind mit Geschichte(n), Legenden, Bräuchen, Ritualen, Handwerkstechniken und mehr verknüpft, die ich erschließen und mit anderen teilen kann. Damit liefern sie dem Menschen wichtige Bezugspunkte zu Raum und Zeit. Ein Lost Place ist damit Überlieferung, die aus der Vergangenheit kommt, für die Gegenwart noch Bedeutung hat, und je nach ihrem Verfallszustand für die Zukunft bewahrt werden soll.

Dr. Elke Wehrs
Kultur- und Erziehungswissenschaftlerin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main

Urban Exploration und Denkmalschutz - wie passen die Interessen zusammen?

Ein Begriffspaar, bei dem sich die Geister scheiden. Spreepark-Experte Christopher Flade denkt, dass Urban Exploration und Denkmalschutz in Abhängigkeit zueinander stehen: „Einerseits wird durch die Erhaltung und ordentliche Wartung von Lost Places ein spannendes und sicheres Urban Exploring möglich. Andererseits lässt sich durch Denkmalschutz altes Kulturerbe schützen.” Dies würde nicht jeder so positiv sehen, denn einige Mitglieder der UrbEx-Community bewerten jeden äußeren Eingriff in die Lost Places als Affront und Kommerzialisierung. Allerdings garantieren gerade diese Eingriffe (Denkmalschutz und Sanierungen) das langfristige „Überleben” von verlassenen Gebäuden. Ohne diese würden Lost Places unwiederbringlich verfallen und keine Erinnerungsquelle, sondern eine Gefahr für ihre Besucher darstellen.

Das Dilemma: Ein Lost Place ist nach seiner Sanierung streng genommen kein Lost Place mehr, sondern weist maximal „nur noch” eine Lost-Place-Ästhetik auf. Die verlassenen Orte bekommen damit einen neuen kulturellen Sinn und Nutzen, werden aber für die Urban Explorer selbst buchstäblich zu verlorenen Orten.

Experten-Meinung zu dem Zusammenhang von Lost Places und Denkmalschutz:

Bei der Kombination von Urban Exploring und modernem Denkmalschutz wird ein wichtiges Element oft missachtet. Für die harmonische Kombination aus Neu und Alt ist eine ordentliche Balance wichtig. Das neue Konzept des Lost Places muss sein Kulturerbe sowie seine Geschichte und Bedeutung reflektieren. Nur so passen Denkmalschutz und Urban Exploration zusammen. In vielen Fällen geschieht das jedoch nicht. So sind Menschen oft enttäuscht, da von dem originalen Lost Place so gut wie nichts übrig bleibt.

Christopher Flade
Autor mehrerer Bücher über den Spreepark Berlin und langjähriger Spreepark-Tourguide
Von Goldberg Siedlung, Brandenburg
Von Goldberg Siedlung, Brandenburg

Lost Places sind nicht für immer „lost” - wie kann ein „Leben danach” aussehen?

Durch Investitionen, Engagement, kulturelle Relevanz und Denkmalschutz ist es möglich, einem Lost Place neues Leben einzuhauchen. Allerdings ist es unwahrscheinlich, es dabei allen Parteien recht zu machen. Dies wird am Beispiel Spreepark deutlich. Urban Explorer werfen den Inhabern des Spreeparks vor, den Ort zu kommerzialisieren. Die Betreibung eines Cafés, die Installation von Toiletten und die geführten Touren würden dem Spreepark seinen Lost-Place-Status rauben. Christopher Flade kann durchaus verstehen, dass Lost-Place-Touristen von dem Spreepark enttäuscht sind (weil z. B. alte Artefakte fehlen), und gibt ihnen Recht: „Bei dem Spreepark handelt es sich um keinen Lost Place im ursprünglichen Sinn mehr.” Das sei aber auch gar nicht entscheidend. Wichtiger ist Flade, dass die Erinnerung an das Alte mit neuen Ideen und Konzepten erlebbar gemacht wird: „Was haben die Leute davon, über den Spreepark zu hören: „Hier hatten die Menschen früher Spaß.“ Es ist doch viel besser, wenn sie heute im Spreepark Spaß haben.”

Experten-Meinung zu der Zukunft von Lost Places als Teil des Stadtkonzepts:

Moderner Denkmalschutz soll in Zukunft viele Lost Places wieder in Stadtkonzepte integrieren. Das Kulturerbe des verlassenen Orts wird nachhaltig in innovative Konzepte integriert. So entstehen, z.B. im Fall des Spreeparks, neue Stadtparks und -gebiete, in denen die alten Elemente des Lost Places als Dekoration oder Denkmal fungieren. Damit lässt sich Urban Exploration und moderner Denkmalschutz nachhaltig vereinen.

Christopher Flade
Autor mehrerer Bücher über den Spreepark Berlin und langjähriger Spreepark-Tourguide

Der Spreepark und sein „Leben danach”: In wenigen Jahren soll der ehemalige Vergnügungspark Spreepark als Kunst- und Kulturpark neu eröffnet und damit Besuchern als Erlebnisstätte, in die Neu und Alt integriert ist, zugänglich gemacht werden.

Quellen:
Fandrick Adventures: https://fandrik-adventures.com/lost-places-10-verhaltensregeln-und-gefahrenquellen/
Urbexpo: http://www.urbexpo.eu/de/urbEXPO/Idee--Vision/Aesthetik-des-Verfalls
Berliner Unterwelten: https://www.berliner-unterwelten.de/
Teufelsberg Berlin: https://www.teufelsberg-berlin.de/
Baum & Zeit: https://baumundzeit.de/saved-place-foto-tour
SEMrush, Januar 2022
Instagram, April 2022
Nordbayern: https://www.nordbayern.de/region/lost-places-das-steckt-hinter-dem-instagram-trend-1.7945060
Lost Places World: https://lost-places-world.com/zukunft/
Experten:
Dr. Elke Wehrs Lehrbeauftragte an der Goethe-Universität und an der Universität des 3. Lebensalters in Frankfurt am Main. Forschung und Lehre im Bereich Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie, Erziehungswissenschaft, Literaturwissenschaft und Psychologie. Promotion „Verstehen an der Grenze. Erinnerungsverlust und Selbsterhaltung von Menschen mit dementiellen Veränderungen“. Forschungen in der Erwachsenenbildung und im Bereich der ästhetischen Bildungserfahrung mit Kindern im Vor- und Grundschulalter. Forschungsprojekt „Projektlabor ÜberLebensKunst“ im Bereich der kulturwissenschaftlichen Stadtforschung, unter anderem das Teilprojekt „Lost Places“.
Dr. Sacha Szabo, Unterhaltungswissenschaftler am Institut für Theoriekultur in Freiburg. Promoviert mit einer Arbeit über Vergnügungsattraktionen, untersucht Alltagskulturen und publiziert dazu Monografien.