Die Ile Callot ist ein ganz besonderes Eiland in der Bretagne. Wer nicht aufpasst, sitzt auf ihr fest. Doch das ist nicht unbedingt schlecht, wie wir heraus fanden …
Wilder Atlantik, schroffe Felsen und üppig-grüne Landschaften – die Bretagne ist für Naturliebhaber das Paradies. Doch ist das Festland schon wunderschön und wild, so beeindrucken die zahllosen Inseln der Region noch mehr. Eine davon ist die Ile Callot, die tolle Erinnerungen aber auch gemischte Gefühle bei uns hinterließ. Sie liegt im Département Finistère im Nordwesten Frankreichs vor dem beliebten Badeort Carantec. Zur Insel setzt keine Fähre über, keine Brücke verbindet sie mit dem Festland. Wer dort hin möchte, muss laufen oder mit dem Auto über eine unbefestigte Straße fahren. Natürlich nur bei Ebbe. Ein Risiko, das auch mein Freund und ich einzugehen bereit waren.
Abgeschnitten vom Rest der Welt, oder: Wie uns der Atlantik sprachlos machte
Sicher, den Gezeitenplan genau studiert zu haben, fuhren wir fasziniert und trockenen Rades über den schmalen Steg zur Insel. Wir drehten nur eine kleine Runde, denn es war plötzlich recht windig und ungemütlich geworden. Bereits eine Stunde später saßen wir also wieder im Auto zurück nach Carantec.
Doch der Weg dorthin wurde bereits vom brausenden Atlantik umspült. Schweigend saßen wir im Auto, versuchten zu begreifen und starrten auf das näher kommende Wasser. Panik machte sich breit. Auf der Ile Callot gibt es außer Natur, Strand und ein paar Häuschen nichts. Keine Bar, keinen Kiosk, kein Hotel, kein Klo – einfach nichts!
Wie lange wir wohl auf der Insel ausharren müssen? Geht das Wasser vielleicht gleich wieder? Warum ist es überhaupt schon da? Laut Plan sollte die Flut erst gegen 18 Uhr kommen, jetzt war es 15 Uhr.
Ein weiser Franzose mit schlechter Prognose
Wir machten uns auf zu einem alten Bauernhaus neben der Straße. Freudig begrüßte uns der Hund des Besitzers, ein betagter Franzose mit wettergegerbten Gesicht, Schiebermütze und nur noch wenigen Zähnen. Der alte Mann betrachtete uns wissend und bat uns herein. Das Wasser sei gerade erst zurückgekommen, erklärte er, ob wir heute noch von der Insel kämen, da müsse er erst mal nachrechnen. Nein, ein Boot fährt nicht, schon gar nicht bei dem Wind. Wir wurden immer blasser …
Versiert zückte er Zettel und Stift, notierte ein paar Zahlen, schlug in einem kleinen roten Heftchen nach und brachte folgendes auf ein Blatt Papier: 22 Uhr. Früher gab es kein zurück. Irritiert bedankten wir uns, gingen zurück zum Auto und beratschlagten, was wir nun, sieben Stunden auf dieser kleinen Insel, tun sollten. Da sich der Wind mit der Flut verzogen hatte und blauem Himmel nebst Sonnenschein wich, beschlossen wir, erneut die Insel zu erkunden.
Ein kleiner Weg führte uns vom kleinen Parkplatz vorbei an einer alten Schule, wild-bewachsenen Häusern, Artischocken-Feldern und wunderschönen Aussichten auf das blaue Meer hinauf zur Chapelle de Notre Dame de Callot, die auf einem Hügel liegt. Im Inneren offenbarte die kleine Kirche ihre volle Schönheit, die Sonne warf bunt-tanzendes Licht durch die farbigen Fenster. In kleinen Wandvorsprüngen lagen Muscheln und Miniatur-Segelboote, bunte Blumen schmückten den Altar, Kerzen brannten, es war wunderbar still, fast schon magisch.
Nur ein paar Hundert Meter hinter der Chapelle ist bereits das Ende der Insel erreicht. Hier schmiegen sich phantasievolle Felsformationen an den Strand, Vögel schweben über dem Meer, in der Ferne schaukeln Boote auf den Atlantikwellen. Die Insel ist ein absolut stiller Ort, nur die Geräusche und Düfte der Natur sind da. Sonst nichts. Es ist wunderbar.
Welch Glück, dass die Flut alle anderen Besucher zurück aufs Festland trieb und nur wir übrig blieben. Allein auf und mit der Insel zu sein, ist ein wahres Erlebnis. Wir streiften die kleinen Wege entlang, verzückt von wilden Blumenwiesen, der salzigen Luft, den unzähligen Muscheln an den Stränden und der Schönheit der bretonischen Natur.
Als es langsam dunkel wird, sitzen wir wieder im Auto, tauschen Gedanken aus, schlafen ein bisschen, lesen und warten. Wir parken den Wagen direkt an der Straße zum Festland um zu beobachten, wie der Atlantik sich langsam zurückzieht und den Weg nach Carantec freigibt. Um 22:03 Uhr fahren wir von der Insel, sind glücklich, wieder auf dem sicheren Land zu sein, aber auch, die wunderbare Ile Callot so intensiv erlebt zu haben.